Gebrauchsskulpturen

 

Künstler erschaffen Skulpturen aus Stein, Metall, aus Holz. Aber auch der Alltag macht aus Dingen zuweilen Skulpturen, wenn aus der benutzten Form Schönheit entsteht. Gebrauchsskulpturen sind nicht einfach nur nützliche Dinge. Nicht nur formen wir sie, sie formen auch uns.

Hier werden künftig Bilder von solchen Dingen erscheinen zusammen mit meinen Gedanken dazu.

 

Canné de Defense

 

Spazierstöcke sind aus der Mode gekommen. Mit ihren schönen Griffstücken aus Silber oder aus Bein sind sie von den Straßen verschwunden und in Antiquitätengeschäfte hinein gewandert. Dabei war der Spazierstock einst Accessoire des Flaneurs und keine bloße Gehhilfe, wie man das vielleicht heute sehen würde, in der Art: Wer einen Stock benutzt, kann nicht mehr richtig laufen. Im Gegenteil, der Dandy benötigt den Stock, um stilvoll flanieren zu können - der Stock ist so etwas wie das Ausrufungszeichen für seinen Gang. 

Nun gehörte einst zum Spazierstock, als Accessoire (oder als Gehhilfe), nicht nur ein gewisser Stil, sondern auch eine Schule der Selbstverteidigung, die inzwischen kaum mehr bekannt ist. 

Einer der Lehrer solcher Schulen soll hier erwähnt werden, nicht zuletzt seines sagenhaften Lebenslaufs wegen, der meinem Dafürhalten nach so ziemlich alles in den Schatten stellt, was man einer Romanfigur jemals andichten könnte. Man kann ihn vielleicht als einen „Dandy der Kampfkunst“ bezeichnen. Die Rede ist von „Colonel“ Thomas Hoyer Monstery, welcher alles trainiert und durchaus angewendet hat, was mit Waffen zu tun hat. Zu seinem Lehrplan gehörte unter anderem auch die Stockkampftechnik, zu welcher er um 1880 in einer seiner Schriften anmerkte: 

„Boxing will get a gentleman out of many scrapes he may fall, but in some parts of the Union he will come across men who habitually carry knives or pistols and in such a case a stout walking stick if he knows how to use it may save his own life and what I consider more important prevent the necessarity of his taking the life of another....Many are the pistols and knives I have struck from the hands of men by a smart blow on the wrist with a cane and many are the murderous brawls I have prevented in this way. As a queller of disturbances I know of nothing better than a hickory or ash stick.“ 

Keine leeren Worte. Nach wechselvollen Ereignissen (alle hatten mit Kämpfen und Duellen zu tun) verschlug es Monstery für eine längere Zeit seines Lebens nach Baltimore, wo er Zigarrenfabrikant wurde. Dort raufte er gemäß seinen Gewohnheiten und Fähigkeiten gelegentlich mit Straßenbanden, unter anderem mit der berüchtigten Bande „The Plug Uglies“. Kein Zweifel, wer da als Sieger davon spaziert ist.

Der „Defense Stick“ oder Canné Defense“ setzt den Haken des „Großvaterstocks“ raffiniert ein, um die Extremitäten des Gegners zu binden und mit dem gebogenen Ende schmerzhafte Stöße auf die Hand (mit oder ohne Messer darin) auszuführen. Die gefährlicheren Varianten des „Defense Sticks“ besitzen einen gewichtigen Kopf, der ebenfalls einen Haken aufweist, in diesem Fall ist das vermutlich die Nase der abgebildeten Figur, zusätzlich aber auch wirkungsvolle Hiebe erlaubt. Das hier präsentierte Modell ähnelt stark dem Polnischen „Nadziak“, einer Waffe, die vom mittelalterlichen Streithammer abstammt, und im alten Polen so berüchtigt war, dass sie in Kirchen nicht mitgeführt werden durfte. Eine zeitgenössische Quelle weiß zu berichten: „Polish noblemen used to carry their Nadziaks still in the 19th century as walking sticks.....At the entrance of the Gniezo Cathedral there is a fixed notice warning people whosoever would enter this house of God with such a brigandish instrument he would be excommunicated.“

 

Wenn man sich das alles vor Augen führt, ist es vielleicht ganz gut, dass solche Stöcke unerkannt in Antiquitätenläden stehen und von den Tagen träumen, in denen sie Gentlemen zum Schutz vor Finsterlingen dienten. Von Zeiten, in denen eine Umkehrung dieses Paradigmas eigentlich nicht denkbar war.

24.09.22

Küchenmesser

 

Küchenmesser können durchaus Objekte der Begierde sein, des Lifestyle, Ausweis der Kennerschaft, Prothesen der Selbstdarstellung wie andere Gebrauchsgegenstände auch, die in höhere Regionen erhoben werden. Das gilt auch für ihre Form und Erscheinung, deshalb kann man sie durchaus als Gebrauchsskulpturen ansehen. Diese Aspekte sind allerdings für Leute, die jeden Tag kochen oder kochen müssen, nicht so entscheidend wie für Messerenthusiasten.

Natürlich können schöne, teure Messer küchentauglich sein, es ist Geschmacksache ob man es einfach möchte oder aufwändig. Hinzu kommt: Man kann die meisten Messer in der Küche verwenden, mehr oder weniger.

Was gute Messer eint, ist ihre Geometrie. Ein Küchenmesser braucht eine scharfe Klinge, deren Schnittwinkel einen durchgehend geraden Keil bildet. Viele Messer, auch solche, die man als Küchenmesser irgendwo kauft, haben statt dessen an der Schneide eine kleine angeschärfte Fase, weil sie so leichter herzustellen sind. Diese Fase nutzt sich schnell ab, dann wird der Winkel zu groß, um wirklich scharf zu schneiden. Dieses Übel verfolgt viele Gebrauchsmesser, nicht nur in der Küche, und stört immer dann, wenn sie wirklich scharf sein sollten. Die Mehrzahl von ihnen funktioniert trotzdem irgendwie, aber wenn es auf wirkliche Schärfe ankommt, versagen sie. Es macht keinen Spaß, mit ihnen zu schneiden.

Will man wahre Schärfe, kommt man um einen Schärfstein nicht herum, denn nur dort bleibt die Keilform erhalten, die allerdings von Anfang an vorhanden sein muss. Patent-Schärfhilfen oder ein Metzgerstahl nehmen nur den Grat weg, der mit der Zeit entsteht und machen den Schnittwinkel dafür immer stumpfer.

Das Messer auf dem Bild hat eine solche Klinge. Sie besteht aus drei Lagen, die innere aus hartem Stahl, die beiden äußeren aus einfachem Eisen. Die nur einen Millimeter dicke, sehr harte Mittelschicht leistet die gesamte Schneidearbeit. Bei diesem Messer sind Klinge und Griff aus einem Stück, das funktioniert recht gut und die Form des Griffs erlaubt verschiedene, pfiffige Arten, das Messer zu greifen. Wichtiger als der Griff ist ohnehin die Form der Klinge. Sie muss so breit sein, dass sie dickes Gemüse schneiden und danach als Spatel dienen kann, um das Geschnittene in die Schüssel zu heben. Sie muss so dünn sein, dass sie wirklich schneidet und nicht spaltet. Sie muss in eine Spitze auslaufen, mit der man feine Arbeiten ausführen kann. Die Schneide soll eine leichte Biegung haben, damit man den schnellen Wiegeschnitt gut hinbekommt, mit dem man Gemüse schneidet und würfelt. Der Winkel zum Griff muss die Schneide frei stellen, damit die Knöchel nicht auf der Schneidunterlage landen. Gut ist es, wenn sich am Ort der Klinge eine scharfe Ecke befindet, mit der man Zwiebelhäute und Knoblauchschalen öffnen und abziehen kann.

Die Klinge eines Küchenmessers wird häufig nachgeschärft. Hat sie die richtige Keilform, dauert das auf dem Stein nur eine Minute. Konfuzius sagt: Wenn du eine Stunde Zeit hast, um einen Baum zu fällen, verwende eine halbe Stunde dafür, die Axt zu schärfen. Na ja, Konfuzius. 

Die sagenhafte Schärfe japanischer Küchenmesser kommt nicht so sehr daher, dass sie immer scharf bleiben, so ein Messer gibt es nicht. Sie kommt daher, dass japanische Köche ihr Messer jeden Tag schärfen, ehe sie mit der Arbeit beginnen. Konfuzius eben.

 

06.11.2021

 

Hammer

 

Ein Hammer ist ein Gewicht auf einem Stiel. Er ist angewandte Physik und funktioniert, ohne dass es des Grundlagenwissens bedarf. Auch wenn der Hammer ein selbsterklärender Gegenstand zu sein scheint, kann man einiges zu ihm sagen. Nahezu in jedem Haushalt gibt es einen Hammer. Mit dem Einschlagen von Nägeln ist sein Potenzial aber noch lange nicht ausgereizt.

Neben dem Amboss stellt er das wichtigste Werkzeug in der Schmiede dar und entfaltet dort seine besten Fähigkeiten. Einem Schmied ist nicht egal, zu welchem Hammer er greift, denn der Hammer gehört fest zum dem operationalen Gedächtnis, das sich mit der Zeit bei der Arbeit entwickelt und weniger im Kopf als in den Händen zu Hause ist. Bei manchen Handwerksmeistern führt diese Art Gedächtnis dazu, dass sie ihrem Schüler nichts erklären, sondern darauf rechnen, dass er genau hinschaut. Weniger deshalb, weil sie maulfaul wären, sondern weil man nicht restlos versprachlichen kann, was die Hände wissen. Dazu kommt: Beim Schmieden muss es schnell gehen – so lange das Eisen heiß ist. Schaut man einem versierten Schmied bei der Arbeit zu, kann man fasziniert sein davon, wie aus dem Zusammentreffen von Hammer und Amboss, der eine leicht rund, der andere flach, vielfältige Formen entstehen, die man, ist das Stück dann fertig, weder mit dem Hammer noch mit dem Amboss in Verbindung bringen würde.

Der Schmiedehammer also. Er wird selbst gemacht oder nach den persönlichen Bedürfnissen verfeinert. Einen passenden Hammer gibt es nicht von der Stange.

 Solch ein Hammer, wenn er sich dann gut anfühlt, lehrt seinen Benutzer mit der Zeit, was er mit ihm machen kann. Denn die Möglichkeiten des Hammers sind unbegrenzt, anders als diejenigen seines Benutzers. Der Hammer macht keine Fehler. Der Hammer auf dem Bild ist mein Lieblingshammer. Seine Rundungen sind das Ergebnis von einen halben Jahr Tüftelei. Er wiegt etwa vier Pfund und er funktioniert von meinen Hämmern am besten.

 

 10.9.2020

  

Stuhl

 

Einst war es ein Luxus, auf einem eigens dafür vorgesehenen Möbel sitzen zu dürfen und, so viel ich weiß, den Königen vorbehalten. Das Volk hockte auf Bänken oder Schemeln, nicht selten einfach auf dem Boden. Manche Stühle lassen einen noch heute darüber nachdenken, ob man sich nicht lieber auf den Boden setzen sollte. Wetterfeste Plastikstühle zum Beispiel, die nach drei Jahren Sonneneinstrahlung unter einem zusammenbrechen, nachdem sie tückischer Weise kurz vorher noch einen unversehrten Eindruck gemacht haben oder extrem hässliche Gebilde aus Kunststoff und Metall, an denen ungeschützte Haut kleben bleibt und klobige Holzstühle, die als „rustikal“ durchgehen wollen. Wer einmal Tischlerarbeiten versucht hat, weiß: Kaum etwas ist so schwer zu bauen wie ein guter Stuhl. Er stellt eine größere konstruktive Herausforderung dar als ein Tisch oder eine Kommode. Ihn stabil zu bekommen ist schon schwer genug, wenn er auch noch gut aussehen soll, kommt der Stuhlbauer schnell an seine Grenzen. Aber viele altgediente Wirtshaus- oder Kaffeehausstühle erfüllen diese Vorgaben problemlos. Sie sehen gut aus, sie wackeln vielleicht irgendwann, aber sie halten noch immer. Der alpenländische Brettstuhl, der global verbreitete Leiterstuhl oder der hessischen Thonet-Stuhl, um einige zu nennen, können Jahrzehnte durchhalten und das ohne besondere Rücksichtnahme.

Der filigrane Teakholz-Leiterstuhl auf meinem Bild stammt aus der dänischen Design-Schule. Ein Stuhl, auf dem man gut sitzt und der seine Konstruktionselemente so weit ins Elegante ausreizt, wie es gerade noch vertretbar ist. Ein Stuhl sollte ja nicht so aussehen, dass man ihm das eigene Gewicht nicht anvertrauen mag. Bei ihm kann man es. Er ist so stabil, wie ein Stuhl nur sein kann und so schön, dass man zwei Mal hinschaut, wenn man ihm begegnet. Schade, dass solche feinen Stühle nicht mehr gebaut werden.

Aber man findet sie noch. Zuletzt sah ich das gleiche Modell in einem Café in der norwegischen Stadt Leknes, mitten auf den Lofoten-Inseln. Bescheiden stand er unter einigen anderen, die man bunt zusammengestellt hatte, ein Schwan unter Enten. Und wackelte nicht.

  

26.11.2019

 

Meine Uhr

 

Gebrauchskunst, Alltagsskulptur, Schmuck? Alles vielleicht.

Sicher aber einer der Gegenstände, die inzwischen überflüssig sind. Man braucht keine Uhr mehr, um zu wissen, wie spät es ist. Wofür einst eine kleine Maschine erforderlich war, die man bei sich trug, in der Westentasche, dann am Handgelenk. Die Ära der Mechanik neigt sich ohnehin dem Ende zu, der Dinosaurier Maschine stirbt an seinen Ausscheidungen. Nur kleine, harmlose Exemplare werden überleben, wie das Fahrrad und – die Armbanduhr. Wir haben nicht mehr erlebt, wie sehr Maschinen das Leben erleichtern können. Wir sorgen uns heute mehr um den Schaden, den sie anrichten können.

Einst war die Maschine das Herz der Eisenbahn, der Hochseeschiffe, der Webereien und der Drehbänke, in der großen Zeit von Dampf und Eisen. Damals wurden Maschinen nicht bloß zweckmäßig gebaut, sie sollten auch schön sei. Die Speichen ihrer schweren Gussräder sauber gerundet, die Kanten glänzend gefast, die Messingbüchsen und Schraubenköpfe, das stählerne Gestänge hochglanzpoliert. Ein verschnörkeltes Schild daran: „Maschinenfabrik Marchthaler in Grundremmingen“ oder „Peachum' s, Manchester“. Etwas in der Art. Das Gebilde sollte nach dem Schwung und der Kraft aussehen, zu der es verhalf.

Aus der alten Maschinenzeit kommt auch die Uhr für jedermann. Sie war einst - wie heute das Smartphon - unerlässlicher Besitz (für jeden Mann, bald auch für jede Frau). Ihre äußere Ausführung, das Material des Gehäuses (Gold, Silber, vergoldet oder bloß billiger Nickel) markierte Status. Technische Qualität und Raffinesse des Werks bezeugten den Rang unter ihresgleichen, und natürlich auch den Rang des Besitzers. Auch wenn er den hinteren Deckel nie öffnete. Das tat an seiner Stelle der Uhrmacher, der die Uhr alle paar Jahre reinigte und ölte. Wenn sie auf dem Tisch lag, zog er vielleicht die Brauen hoch: „Da haben Sie aber etwas ganz Feines, mein Herr. Eine Lange 1 A!“ Die Zwiebel eines anderen kam mit einem „Lohnt sich ja kaum“ in die Schublade.

Braucht es diese Vorrede?

Ich finde schon. Denn die Uhr auf dem Bild ist eine Zeitzeugin, die noch von der Blüte des Maschinenzeitalters erzählen kann. Sie wurde 1897 von der „Elgin National Watch Company“ in Chicago gebaut, die zu dieser Zeit bereits 2500 Mitarbeiter beschäftigt hat und 500 000 Uhren im Jahr produzierte, mehr als jede andere Uhrenmanufaktur weltweit. In der Mehrzahl waren es einfache, preiswerte Uhren, aber auch ausgesucht feine, von Hand fertig gestellte Stücke, wie diese frühe Armbanduhr. Man musste ihresgleichen noch suchen, in ihrem Entstehungsjahr 1897. In dem Jahr, in dem Rudolf Diesel seinen ersten Motor zum Laufen brachte, Gustav Klimt die Wiener Sezession gründete, Bram Stokers „Dracula“ erschien und das Riesenrad im Prater sich zu drehen begann. Damals galten Armbanduhren als unmännlich. Bis im ersten Weltkrieg das Trommelfeuer nach der Uhr gelegt wurde und die Kampfflieger mit ihr navigierten. Die „Trenchwatch“ oder „Campaign Watch“ der Offiziere wurde zum männlichen Accessoir.

Noch immer zeigt die alte „Elgin“ mit ihren zarten, gebläuten Zeigern die Zeit so genau an, dass man sich auf sie verlassen kann. Ihr Emaillezifferblatt hat noch keinen Sprung, man hat auf sie aufgepasst, obwohl sie ihren Platz nicht in der Westentasche hatte, sondern exponiert am Handgelenk. Und getragen wurde sie, die Vergoldung am Gehäuse ist dünn geworden, die Zähne an der Krone sind abgegriffen.

Ich ziehe sie auf und höre, wie die winzigen Steine des Ankers auf die Radzähne schlagen und die Unruhe schwingen lassen, den Takt der Zeit. Ich horche auf den leisen, strengen Nachhall der Schläge im engen Gefüge des winzigen Maschinenraums - auf das, was man das Ticken nennt. Und denke: Welchem Kind hat man diese Uhr ans Ohr gehalten? Wohin überall ist sie getragen worden und von wem, wem wurde sie geschenkt und wem schlug sie die letzte Stunde?

 

31.7.2017

 

Tsuba

 

 

Ein Tsuba ist ins Deutsche übersetzt ein Schwertstichblatt. Es gehört zur Montierung eines japanischen Schwerts und stellte ein wesentliches Accessoir eines Samurai dar.

Vermutlich war es ursprünglich dafür vorgesehen, die Hände vor der gegnerischen Klinge zu schützen, es bildet außerdem ein Gewicht in Griffnähe, um die Handhabung des Schwerts zu verbessern.

Das Tsuba definiert sich jedoch weniger nach seiner Funktion als nach ästhetischen Kriterien und spricht damit eher die Sinne an als die Hände. Es war ein Schmuck-stück, das den Blick auf sich zog, weit mehr als das in der Scheide unsichtbar versorgte Schwert. Das Tsuba unterstrich den Rang und die ästhetische Bildung seines Trägers. 

Tsuba bilden die japanische Ästhetik des Adels ab. Seit dem Mittelalter breitete sich der Buddhismus in der japanischen Kriegerkaste aus. Zen-Sekten etablierten sich, die Teezeremonie wurde Ausdruck einer Geisteshaltung, zu der die Prinzipien von „wabi“ und „sabi“ gehören. Sie bedeuten wörtlich: „einsam, zurückgezogen“ und „alt, gebrochen, vergänglich“. In ihrer idealen Auffassung bilden sie ein ästhetisches Prinzip des Einfachen und Vergänglichen, das wesentlich war für die künstlerische Gestaltung der Dinge und für die poetische Haltung von Gebildeten in Japan. Dazu gehörte der propagierte Rückzug von der gesellschaftlichen Eitelkeit, das Zelebrieren des Augenblicks, der Respekt für die Natur und der Sinn für Schlichtheit. Schöne Dinge sollten eher „benutzt“ aussehen als neu, nicht selten wurde absichtlich ein Makel gesetzt, um das Natürliche, das Zufällige zu akzentuieren.

Das Tsuba auf dem Bild repräsentiert diese Haltung, es ist ein „Nobuiye“-Tsuba aus dem späten 16. Jahrhundert. Es ist nicht symmetrisch. Die Oberfläche wurde mit feinen Meißelschlägen und bloß angedeutetem Dekor so porös gemacht, dass sie wirkt wie ein uraltes Relief, dessen Bedeutung man nur noch erahnen kann. Das Stück wirkt gealtert, das Eisen und seine Farbe dominieren den Eindruck, alles Schmückende ist zurückgenommen. Aber hier ist nichts zufällig, alles ist mit Raffinesse so gemacht, dass es provisorisch und gealtert wirkt.

Tsuba können erlesene kleine Kunstwerke sein. Am schönsten sind sie bei Kerzenlicht in einem dunklen Raum. Ihre Wirkung war einst berechnet auf das Dämmerlicht japanischer Interieurs, wo eine glänzende Kante, eine Spur Gold, ein schimmernder Drachenkopf für den Betrachter Akzente setzen können, die ihn, wie im No-Theater, ahnen lassen, was er nicht sieht.

 

1.8.2017

 

 

 

Teetasse

 

Über Teetassen und ihre Ästhetik ist schon viel geschrieben worden. Zumal über japanische oder ihre Vorbilder, koreanische Tassen aus dem Mittelalter. Dem kann ich mangels Kunstkennerschaft nichts hinzufügen, es sei denn, dass mir solche Tassen gut gefallen. Sie werden natürlich nicht benutzt, dazu sind sie zu teuer, sie sind also keine Gebrauchs-skulpturen mehr, sondern Kunst.

Hier also lieber etwas Persönliches.

Die Tasse auf dem Bild habe ich vor etlichen Jahren gekauft, zusammen mit drei ihrer Schwestern, von denen leider nur zwei überlebt haben, sie sind jetzt noch zu dritt.

Weil sie mir so gut gefielen – ich fand sie vollkommen -  habe ich die Töpferin, als eine zerbrochen war, wieder aufgesucht und sie darum gebeten, noch einmal sechs solche Tassen für mich zu machen, denn der Verlust der einen hatte mich dazu gebracht, sie horten zu wollen. Tassen können schließlich leicht kaputt gehen. Und ich wollte nicht eines Tages ohne eine dieser wunderbaren Tassen Tee trinken müssen. Die Töpferin hat den Auftrag angenommen und einige Zeit später suchte ich ihre Werkstatt auf, um die Tassen abzuholen.

Ich war enttäuscht. Die neuen Tassen waren den meinen zwar sehr ähnlich, aber es fehlte ihnen etwas. Vielleicht der kleine Schwung am Rand nach außen. Oder der farbliche Sprung zwischen innen und außen bei der Asche-Glasur. Irgendetwas in den Proportionen. Ich konnte es nicht sagen und die Töpferin auch nicht. Wir standen unglücklich beieinander und wussten nicht recht, was da passiert war.

Natürlich habe ich die Tassen gekauft. Inzwischen sind sie alle kaputtgegangen bis auf eine, daraus esse ich Nüsse. 

Erst später habe ich begriffen, was anders war. Die Töpferin hat die ersten Tassen für niemanden gemacht. Sie wurden so, wie sie eben geworden sind. Die zweite Serie hat sie mit der Absicht gemacht, wieder dieselben Tassen herzustellen und das konnte nicht gelingen. Um die Unbefangenheit der ersten Serie, die für niemanden gemacht war, wieder zu erlangen, hätte sie nicht sechs Kopien, sondern viel mehr Tassen machen müssen, hundert, zweihundert vielleicht. Ein unmögliches Unterfangen.

Nun sind es eben drei Tassen, damit kann ich leben.

 

14.7.2017

 

Münze

 

Münzen gab es, lange bevor man dem Papiergeld vertraute, sie waren so viel wert wie das, was man mit ihnen bezahlt hat. Meist aus Silber, selten aus Gold, oft aus Kupfer, hinein gestanzt die Bilder von Göttern und Souveränen, der Gehalt an Edelmetall ständiger Gegenstand des Misstrauens. Einmal geprägt, kamen sie auf den Markt, sie fingen das Wandern an von Hand zu Hand, hinein in Beutel, Satteltaschen, Kisten, Kästchen und an geheime Orte. Münzen sind noch heute bei fast allem dabei, was Menschen tun und bei dem, was man kaufen kann, und das ist nicht wenig. 

Dreck, Sand, Wasser, Finger, Schweiß, vielleicht auch Blut oder Tränen haben ihre Spuren an ihnen hinterlassen, über hunderte, im Fall der griechischen Drachme auf dem Bild auch einmal über tausende von Jahren. So eine Münze ist „abgenutzt“, prosaisch ausgedrückt.

Man könnte aber auch sagen, sie ist aufgeladen von dem, was mit ihnen getan wurde und gleichzeitig nützt sich der Wert, den sie besitzt, durch alle Ereignisse hindurch nicht ab. Das ist das ebenso Faszinierende wie Gefährliche an einer Münze. Im Unterschied zu dem, was in tausend Jahren aus Freundschaft, aus Liebe, aus Fürsorge getan wurde und wobei sie durchaus eine Rolle gespielt haben mag, behält sie ihren Wert. Da hat einst jemand genommen oder gegeben und sich bedankt oder auch nicht, es wurde gestohlen, betrogen und vertraut - was sich zwischen den längst Gestorbenen ereignet hat, ist aufgegangen im Kreis aus Geben und Nehmen, die Schuld vergessen. Das wirklich Wichtige lässt sich nicht aufheben, es ist unbezahlbar und löst sich auf, wird erlöst im Strom der Zeit. Die Münze aber wandert weiter, beladen mit ihrem Wert, unberührt von allem Menschlichen. Oder doch nicht? Mit den Jahrtausenden scheint eine solche Münze auf unheimliche Art davon zu wissen. Das jedenfalls sagt mir das düstere Antlitz des Herkules auf der alten Münze von der Insel Kos aus dem vierten Jahrhundert vor Christi Geburt.

 

12.2.2017

 

Bleistift

 

Weshalb ein Bleistift eine Skulptur sein kann? Ich kann nur sagen, dass die Bleistifte, die mein Onkel B. einst im Büro meines Vaters mit einer ausgemusterten Rasierklinge hauchfein angespitzt hat, zweifellos Skulpturen gewesen sind. Als kindlicher Gast im Büro und Gesellschafter meines Onkels habe ich sie bewundert. Vor allem ihre nadelfeine und von allen Seiten makellos ausgearbeitete Spitze, die, während der Bleistift kürzer wurde, immer wieder neu entstehen konnte. Später, als ich neugieriger geworden war, habe ich im grauen Arbeitskittel des Onkels kleine Zettel mit Romanvorlagen gefunden. Nahezu unleserlich, der Text zwischen Schreibschrift und Stenografie hin und her streifend, der Inhalt mit allem Eifer des Entdeckers leider nicht in einen verstehbaren Zusammenhang zu bringen. Geschrieben natürlich mit dem nämlichen, gut gespitzten Bleistift, mit dem sonst draußen im Holzlager Länge, Breite und Dicke von Kiefernbrettern in Tabellen notiert werden mussten. Und mit dem sein Besitzer zuweilen, wenn er die Zeit totschlagen musste – was oft der Fall gewesen sein muss, auf anderen Zetteln auch seltsame Zeichnungen anfertigte, die ich ebenfalls in seiner Abwesenheit in Ruhe begutachten konnte. Es handelte sich meiner Meinung nach um Pläne von dreidimensionalen Gebilden, die mich an Bauwerke erinnerten, Entwürfe einer zukünftigen Stadt vielleicht, einer Poetenrepublik, wo man sein Dasein sorglos fristen und die Zeit totschlagen durfte. Mit einem gut gespitzten Bleistift in der Hand. 

Ein Bleistift sagt viel über seinen Benutzer. Das Ende zerbissen und sorgenvoll abgekaut. Stumpf geworden, die Mine heruntergeschrieben, ohne je neu nachgespitzt zu werden. Sorgsam auf den letzten Zentimeter zurückgespitzt, verlängert mit einem metallenen Halter. Hinter dem Ohr des Tischlers verwahrt, flach angeschärft für den genauen Anriss. Vom stumpfen Spitzer des Schülers malträtiertes Hassobjekt, dem nie eine Spitze vergönnt war. Von der immer gleichen Marke, neben dem Manuskript des Poeten liegend, dem ohne ihn nichts einfällt. Oder eben nadelscharf angespitzt von der Rasierklinge meines Onkels zu einem ebenmäßigen Projektil, das auf den Abschuss in eine seltsame Anderwelt wartet.

Der eigene Bleistift kann nichts anderes sein als eine persönliche Skulptur. Er wäre zu allem fähig, aber er nimmt immer die Züge seines Besitzers an, sein Können gerade so wie seinen Dilettantismus. Sein Charme besteht indessen nicht nur darin, dass er immer präsent ist - er benötigt ja nichts außer sich selbst, sondern - und das ist das beste an ihm: Er verschwindet allmählich, während er so ganz Bleistift ist, und setzt damit ein gegenläufiges Zeichen zur Illusion der mit ihm verrichteten Arbeit, die oft meint, etwas Bleibendes erzeugt zu haben. Was am Ende bezweifelt werden muss, weil so vieles den Weg geht, den auch der Bleistift gegangen ist.

 

12.1.2017

 

Smartphone

 

In diesem Jahr können die Erfinder des Smartphones den zehnten Jahrestag seines Erscheinens feiern: Zur Design-Ikone geworden und nach seinem Erscheinen vielfach nachgeahmt. Wo einst noch Tasten, Hebel waren, konnte man zumindest ahnen, was damit bewegt werden sollte. Am Touchscreen begegnen sich Körper und Maschine in unmittelbarer Intimität. Der flache Quader ist ein Spielzeug zum Anfassen, dessen magische Komplexität in ein Versprechen von Einfachheit verpackt worden ist. Man kann damit etwas in Bewegung setzen, was nicht Halt macht bei dem Gerät selbst, sondern in Sekunden um die ganze Welt reicht, man kann Teil haben an einem großen Geschehen, dem wimmelnden Ameisenhaufen des Konsums und der Kommunikation. Dass das Spielzeug mehr kann und weiter reicht, als man weiß und versteht, ist ihm einem gar nicht unrecht, weil die Magie damit noch grenzenloser wird.

Mit dem Erreichen der puren Oberfläche dreht sich um, wer wen beherrscht. Wer ist smarter? Der Benutzer oder das, von dem er glaubt, dass es ihm dient? Das smarte Ding verspricht alles für alle, die seine glatte Fläche berühren dürfen. Das Leben ist kaum mehr vorstellbar ohne Menschen, die auf die Bildschirme ihrer Smartphones schauen, eintauchen unter die Oberfläche, die sie vor jeder sozialen Herausforderung zu schützen scheint wie eine Tarnkappe. Das Smartphone liegt nebem dem Teller auf dem Eßtisch, es ist ausgelagertes Gedächtnis, soziales Netz, Kamera, Konsumportal, Beobachter, Datenlücke und noch vieles mehr.

Eine kleine Revolte dagegen ist ja vielleicht die „Spider-App“, die viele Smartphones - auch das auf diesem Bild, verziert. Abgesehen davon, dass die Reparatur teuer ist, könnte das Splittermuster die magische Oberfläche, unter der nichts zufällig ist, mit dem hilflosen Gegenzauber des zufälligen Bruchs zu bannen suchen.

Wäre es so, wäre es vergeblich. Denn das Smartphone beobachtet mich, folgt mir, archiviert, was ich tue, bietet Unbekannten Zutritt für unkontrollierbare Machenschaften. Aber die Paranioa, die mich ankommen will, lässt sich wieder verdrängen durch die Optionen, die mir buchstäblich in Hand gegeben werden.

Nichts ist so tief wie die Oberfläche, nichts so oberflächlich wie das, was alle teilen.

 

7.2.2017

 

Fahrrad

 

Eigentlich keine Skulptur, sondern eine Maschine, andererseits doch eine Skulptur, wenn es seine Einfachheit bewahrt, die Einfachheit einer Fahrmaschine: zwei Räder, ein Rahmen, Lenker, Sattel und Pedale, nur das. Aber auch ein Lastesel, wie das Bild des chinesischen Fahrrads zeigt, oder ein Luxusspielzeug, das Fahrrad dient vielen Zwecken. Es ist die erste Fahrmaschine nach der Erfindung von Rad und Wagen und war schon erfunden, bevor das Auto auf die Welt kam. Den ersten Autos sieht man noch an, dass sie als ratternde Neuschöpfung aus Kutsche und Fahrrad daher kommen, von letzterem erbte es Kette und Speichenräder und natürlich den Luftreifen, denn erst der machte dem Gefährt richtig Tempo. Er führt dazu, dass man auf einem Fahrrad eigentlich fliegt, man bewegt sich ja auf komprimierter Luft, die von einem Gummischlauch am Ausströmen gehindert wird. Jedenfalls solange der kein Loch hat, dann muss man ihn eben wieder flicken und aufpumpen. Dieses Gefühl des Fliegens ist das Großartige am Fahrrad, es geht nicht mit einem Moped und im Grunde auch nicht mit einem E-Bike. Das Fahrrad multipliziert nämlich spürbar die eigenen körperlichen Fortbewegungskräfte, für die es sonst beim Gehen und Laufen eine Menge Reibung und viele komplizierte Teilbeschleunigungen der Beine und des Rumpfes braucht. Auf dem Fahrrad reicht es, in die Pedale zu treten. Den Rest kann man getrost der Maschine überlassen: Eine zarte Gabel, Mitteldreieck und Hinterbau aus dünnen Rohren, ein paar Kilogramm Stahl fangen die beträchtlichen Kräfte auf, die ein Fahrrad aushalten muss und leiten sie weiter, lassen einen fahren, ohne dass man auf die merkwürdigen und durchaus komplizierten mechanischen Gesetzlichkeiten achten müsste: Dass es Kreiselkräfte sind, die das Geradeausfahren überhaupt erlauben, dass man den Lenker nach rechts andrehen muss, um nach links zu fahren und dass das ganze Gewicht tatsächlich bloß an zwei, drei Speichen hängt. Das muss man alles nicht wissen, weil die wunderbare Maschine auch so fährt – will sagen: fliegt.

 

28.11.2016